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Florian H.Th. Wegelein


Das Streitbeilegungssystem im neuen Seerecht, der Seegerichtshof

A. UNCLoS III; Hintergrund für das Streitbeilegungssystem

Am 10. Dezember 1982 wurde nach langen Verhandlungen - die ersten wesentlichen Beratungen begannen 1974 1 - die dritte Seerechtskonvention 2 der Vereinten Nationen verabschiedet. Am 16.11.1993 wurde die sechzigste Ratifikationsurkunde hinterlegt, so daß die Konvention, wie in Art. 308 vorgesehen, ein Jahr später, am 16.11.1994, für die Vertragsstaaten in Kraft treten konnte. Für die Bundesrepublik ergibt sich eine besondere Verbindung zur Konvention daraus, daß der Seegerichtshof (ISGH) seinen Sitz in Hamburg haben wird 3.

Im Mittelpunkt des folgenden Textes steht das Streitbeilegungssystem, das anders als sonst im Völkerrecht 4 für bestimmte Streitigkeiten ein obligatorisches Verfahren mit bindenden Entscheidungen vorsieht, und der Seegerichtshof als neu geschaffenes Organ.

Vor dem Hintergrund der scharfen Interessengegensätze im Seerecht - auf der einen Seite die Freiheit der Schiffahrt im weitesten Sinne und auf der anderen Seite der Wunsch, Hoheitsgebiete (i.e. das Küstenmeer) und damit das Recht zum Ausschluß anderer auszudehnen - hatte die Streitschlichtung schon früh eine eigenständige Bedeutung 5.

Nach dem zweiten Weltkrieg machte sich im Rahmen der Bildung der Vereinten Nationen die Völkerrechtskommission an eine umfassende Regelung des Seerechts, das bis dahin durch Gewohnheitsrecht bestimmt war. Technologiefortschritt in Fischerei und Schiffahrt warfen neue Probleme und Interessenkonflikte auf, weil etwa Küstenstaaten sich nicht erahnter Eingriffe in ihre Fischbestände ausgesetzt sahen 6. Dies führte zur ersten Konferenz der UN über das Seerecht 1958 (UN Convention on the Law of the Sea I oder Geneva Convention 1958). An ihrem Ende standen vier Übereinkommen, die u.a. den rechtlichen Status der Küstenmeere und der Hohen See, Art und Ausmaß von Fischerei und Fragen der Erhaltung der biologischen Reichtümer der Hohen See beschrieben 7. Schon in der Vorbereitung tauchte die Überlegung auf, die Streitbeilegung innerhalb der Konvention zu regeln, am Ende stand dann allerdings nur ein Zusatzprotokoll (optional protocol), das keine großen Wirkungen entfaltete 8. Eine zweite Konferenz im Jahre 1960, die die Klärung noch offengebliebener Fragen bringen sollte, blieb erfolglos.

Die dritte UN-Seerechtskonferenz wurde von der UN-Generalversammlung am 06.11.1973 einberufen. Aufgabe war, ein für alle Staaten gleichermaßen und einheitlich geltendes Seevölkerrecht zu schaffen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Seerechts wird ein eigenständiges Verfahren für Streitigkeiten in bezug auf seerechtliche Problemstellungen eingerichtet 9. Es gliedert sich in zwei Stränge: der eine für Auslegung und Anwendung der Konvention insgesamt, der andere als Bestandteil des Meeresbodenregimes (Teil XI., "Das Gebiet") speziell für Meeresbodenstreitigkeiten 10

Die wesentlichen Teile der Konvention beruhen auf hart verhandelten Kompromissen und bilden ein Geflecht von "Geben und Nehmen" 11 vor dem Hintergrund unterschiedlicher bis gegensätzlicher Interessen 12. Einer generellen Erweiterung der Rechte der Küstenstaaten, etwa mit Einführung der Ausschließlichen Wirtschaftszone (Teil V), stehen bestimmte Rechte der Schiffahrt gegenüber, etwa das Recht, wichtige Meerengen unbehelligt passieren zu dürfen 13. Ebenfalls vor diesem Hintergrund ist Art. 309 zu lesen, demzufolge Vorbehalte grundsätzlich nicht zulässig sind (eine Folge des sog. package-deal Konzepts und Konsens-Verfahrens 14); darauf geht auch zurück, daß die Konvention überhaupt ein besonderes Streitbeilegungssystem vorsieht 15: in der Überlegung, daß einseitige Interpretationen die gefundenen Kompromisse allzuschnell verwässern würden, die Einschaltung eines "Dritten" die friedliche Beilegung von Streitigkeiten und eine gleichförmige Auslegung am ehesten garantiere 16, sowie ein Schutz gerade kleinerer Staaten bei Konflikten durch ein ausgefeiltes Regelwerk am besten gewährleistet werde und größere Staaten sich Probleme ersparen könnten 17.

B. Streitbeilegungsorgane in UNCLoS III

Die Vorschriften über die Streitbeilegung und ihre Organe stehen im Teil XV und den Anlagen VI-IX der Konvention. Nach Art. 287 steht den Parteien die Wahl zwischen vier Rechtsprechungskörpern (der ISGH, der IGH, ein Schiedsgericht (Anlage VII), ein besonderes Schiedsgericht (Anlage VIII), zuständig für Fischerei, Schutz und Bewahrung der Meeresumwelt, wissenschaftliche Meeresforschung und Schiffahrt, insbesondere Verschmutzung durch Schiffe) zur Wahl, um einen Streit auf Grundlage der Konvention von unabhängiger Seite klären zu lassen (und zwar bei Unterzeichnung aber auch zu jedem späteren Zeitpunkt). Darüber hinaus ist es möglich, diese Optionen zu kombinieren und besonderen Streitgegenständen präferierte Entscheidungskörper zuzuordnen 18. Eine Rangfolge der Optionen gibt es vor dem Hintergrund der notwendigen Übereinstimmung der Parteien in der Wahl des zuständigen Gerichts nicht.

Für die vier genannten Institutionen stellt sich die Frage wechselseitiger Abgrenzung. Grundsätzlich sind die Parteien frei zu wählen, auf welcher Grundlage und mit welchen Mitteln sie ihren Streit beilegen wollen, dies räumt Art. 280 ausdrücklich ein. Das Streitbeilegungsorgan kann sich zum einen aus einer Vereinbarung der Parteien ergeben, zum anderen aber auch aus anderen allgemeinen, regionalen oder zweiseitigen Übereinkommen, denen durch Art. 282 generell Vorrang eingeräumt wird.

Art. 287, Absatz 3 enthält eine Zweifelsregelung zugunsten des Schiedsverfahrens nach Anlage VII für den Fall, daß keine Erklärung einer Partei vorliegt; das gleiche bestimmt Absatz 5 für den Fall, daß die Streitparteien sich nicht auf das gleiche Verfahren geeinigt haben sollten.

Die Streitbeilegungsorgane des Art. 287 erhalten ihre Zuständigkeit also nur, wenn die Parteien nicht nur nichts anderes vereinbart, sondern sich speziell auf einen Weg geeinigt oder auf andere Weise festgelegt haben. Ist letzteres nicht der Fall, wird gemäß Art. 287(3) ein Schiedsgericht nach Anlage VII, bzw. VIII zuständig. Eine Besonderheit kann sich im Rahmen des Art. 292 ergeben (s.u.).

1. Schiedsgerichte

Damit rücken die Schiedsgerichte nach Anlagen VII/VIII zunächst einmal in den Mittelpunkt.

Das hängt zum einen damit zusammen, daß sich Staaten generell ungern einer bindenden Entscheidung unterwerfen 19; zum anderen aber auch mit den größeren Einflußmöglichkeiten, die die Zusammensetzung eines Schiedsgerichts den beteiligten Parteien eröffnet (was dann unter der ersten Prämisse zu einer höheren Akzeptanz der Schiedsgerichtsbarkeit führte):

Die Schiedsrichter können sowohl aus einer Liste beim UN-Generalsekretär ausgewählt werden, für die jeder Mitgliedsstaat vier Schiedsrichter benennen darf, Anlage VII, Art. 2(1), als auch speziell für ein Verfahren berufen werden 20. In jedem Fall dürfen die Staaten eigene Staatsangehörige auswählen. Die verbleibenden Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums, darunter der Präsident des Schiedsgerichts, müssen von den Parteien einvernehmlich gewählt werden. Ist eine Einigung nicht möglich, bzw. mit Ablauf von sechzig Tagen nach Ingangsetzung des Verfahrens (durch Notifikation, Anlage VII, Art. 1) nicht erfolgt, soll die Benennung von unabhängiger Seite erfolgen 21, und zwar innerhalb von weiteren dreißig Tagen, so daß maximal neunzig Tage nach der Einleitung des Verfahrens das Schiedsgericht zusammentreten kann.

Der Schiedsspruch eines Gerichts nach Anlage VII (oder VIII) ist endgültig, er unterliegt keinem Rechtsmittel, es sei denn, die Parteien hätten anderes vereinbart, Anlage VII, Art. 11. Damit wird deutlich, daß auch die Schiedsgerichtsbarkeit zu den bindenden Instrumenten der Konvention gehört. Fraglich ist in diesem Zusammenhang dann die Möglichkeit, gem. Art. 280 ein außerhalb der Konvention eingerichtetes Verfahren durchzuführen. Soweit andere Übereinkommen Streitbeilegungsmechanismen vorsehen, handelt es sich eher um Sollvorschriften, so daß der Sinn, sich einem Verfahren mit bindender Entscheidung im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, in Frage gestellt ist: denn, scheint den Parteien schon ein Schiedsgericht als gegenüber den beiden Gerichtshöfen vorzugswürdig, ist es naheliegend auf ein solches auszuweichen, das im Rahmen eines anderen Übereinkommens oder nach Art. 280 völlig unabhängig eingerichtet wird und möglicherweise einen größeren Spielraum für die Beteiligten erwarten läßt (schon allein weil ein solches Verfahren eben nicht zu einer bindenden Entscheidung führen muß). Für die Beantwortung stellt sich die Frage, inwieweit Vertragsstaaten, die sich auf eine Unterzeichnung eingelassen haben, ihre Reputation gefährdet sehen, wenn sie dem grundsätzlich anerkannten Streitbeilegungssystem in dieser Form ausweichen 22. Es steht zu vermuten, daß der Schritt zur Unterzeichnung die Unterwerfung unter eine bindende Entscheidung für die Zukunft generell mit einschließt und darum ein solches Ausweichen eben nicht zur Regel wird.

Eine andere Frage ist die nach dem Nebeneinander einer allgemeinen und einer speziellen Schiedsgerichtsbarkeit (Anlage VII, respektive VIII). Da für das zweitere Verfahren Spezialisten für das entsprechende Gebiet ausgewählt werden (Anlage VIII, Art. 2), dürfte wann immer eine entsprechende Streitigkeit zur Entscheidung steht, dieses das bevorzugte sein, da seine Entscheidungen sich in einem engeren Rahmen der Vorhersagbarkeit bewegen, als die einer "bunt zusammengewürfelten" Richterbank 23, und einem Gremium von Fachleuten eine größere Kompetenz in den speziellen Problembereichen zugetraut wird. Soweit der ISGH noch keine Reputation als Spezialgericht mit entsprechender Urteilssammlung hat, so daß ein Verfahren für die Parteien in Grenzen einschätzbar ist, ist deshalb zu erwarten, daß gerade den speziellen Schiedsgerichten - neben dem IGH mit seiner Erfahrung in seerechtlichen Angelegenheiten - eine wichtige Rolle im System der bindenden Streitbeilegung im Rahmen der Konvention zukommen wird 24.

2. Der Internationale Gerichtshof

Der IGH ist als eigenständiger Spruchkörper zur Streitbeilegung im Rahmen der Konvention vorgesehen. Seine Bedeutung im Seerecht nach der Konvention erwächst aus seiner bisherigen Rechtsprechung in seerechtlichen Angelegenheiten. Für ihn stellt sich aber die Frage, inwiefern das IGH-Statut im Rahmen der Konvention Anwendung findet. Vorbehalte und Deklarationen, wie sie Art. 36 IGH-Statut ausdrücklich vorsieht, sind nach der Konvention nämlich nicht möglich, und auch eine Erklärung hinsichtlich der Anerkennung der Entscheidungen als verbindlich (Art. 36(2) IGH-Statut) entfällt. Da die Konvention spezielles Regelungswerk ist und mit der Wahl des Organs keine Entscheidung über die Anwendbarkeit materiellen Rechts getroffen wird, läuft auch bei der Wahl des IGH als zuständigem Spruchkörper ein Vorbehalt gemäß Art. 36 IGH-Statut leer. Trotzdem bleibt zu berücksichtigen, daß die Parteien vor dem IGH diesen entsprechend seinem Statut generell anerkannt haben müssen.

3. Der ISGH

3.1. Status

Der ISGH ist im Unterschied etwa zu Schiedsgerichten eine ständige Institution mit eigenem Statut 25 und Verfahrensregeln 26 (und deshalb dem IGH vergleichbar). Die Organisation des Gerichts ist festgelegt im ersten Abschnitt des Statuts, es folgen Zuständigkeit und Verfahren (Anlage VI, Art. 2-19).

3.2. Abgrenzung zum IGH

Der ISGH wird in der Konvention als speziell zuständige Institution für Streitbeilegungen eingerichtet. Fraglich ist seine Stellung insbesondere gegenüber dem IGH, vor dem seerechtliche Streitigkeiten bislang ausgefochten wurden (abgesehen von solchen, die im Vergleichswege, bzw. durch Schiedsgerichte 27 oder aber überhaupt nicht beigelegt werden konnten).

Der IGH hat sich mit seiner Rechtsprechung zum Seerecht den Ruf der Kompetenz geschaffen und mit seiner Rechtsprechung wichtige Wegweiser auch hinsichtlich der Interpretation der Konvention geschaffen, während das Seegericht als Spruchkörper erst der Bewährungsprobe ausgesetzt wird: entsprechend niedrig ist bisher die Quote der Staaten, die den ISGH als bevorzugt zuständig gewählt haben 28. Es ist anzunehmen, daß sich die Einstellung der Staaten gegenüber dem ISGH erst mit der Zeit und in Ansehung seiner Rechtsprechung ergeben wird.

Die bisherige Trennung von materiellem Völkerrecht und Völkerprozeßrecht hat wohl dazu geführt, daß viele Völkerrechtsverletzungen gar nicht autoritativ festgestellt, sondern in einem Schlagabtausch wechselseitiger Anschuldigungen erledigt wurden 29. Und aus diesem Grund ist die Zusammenfassung des Streitverfahrens mit dem materiellen Recht sinnvoll, da Spezialisierung in der Regel auch Kompetenzgewinn bedeutet. Allerdings müßte sich in der weiteren Entwicklung das Nebeneinander der Zuständigkeiten klären. Denn die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten, gerade in bezug auf die Interpretation der Vorschriften, liegen auf der Hand: es ist wohl zu erwarten, daß der IGH seine Rechtsprechung in bezug auf die Konvention 30 fortführt, während der ISGH aufgrund der Tatsache, daß er die Konvention viel eher in ihrer Gesamtheit und als ein geschlossenes System für seine Entscheidungen betrachten dürfte, möglicherweise zu abweichenden Ergebnissen kommt. Den Entscheidungen des IGH in bezug auf einzelne Vorschriften kommt auch weiterhin richtungsweisende Funktion zu. Und in den Entscheidungen des IGH dürfte sich viel eher das Spannungsfeld zwischen internationalem Gewohnheitsseerecht und den einzelnen Vorschriften der Konvention zeigen. Der Ausgleich in dieser wechselseitigen Bedingtheit dürfte sich dann im Wege einer einheitlichen Rechtsprechung auch auf die Auslegung der Konvention durch die anderen Spruchkörper auswirken. Zwar sind auch die Entscheidungen des ISGH nur für die Beteiligten bindend, doch dürften sich die Urteile in Form einer kontinuierlichen Rechtsprechung und im Interesse größerer Rechtssicherheit (ähnlich wie beim IGH) auf zukünftige Entscheidungen auswirken. Im Rahmen wechselseitiger Beeinflussung wird die Frage interessant werden, inwieweit internationales Gewohnheitsrecht, das für Entscheidungen bei Streitigkeiten zwischen oder mit Nichtvertragsstaaten nach wie vor Grundlage ist 31, sich auf die Interpretation der Konvention durch den IGH und - im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung - als Folge auch auf den ISGH auswirkt.

Die Zusammenfassung von materiellem Recht und gerichtlichem Verfahren birgt die Chance einer weitergehenden Vereinheitlichung des Rechts und damit einer größeren Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit von Entscheidungen. Da gerade dies vielfach als ein Grund für die ablehnende Haltung mancher Staaten gegenüber dem IGH 32 aber auch des gesamten Völkerrechts angeführt wird, könnte der Regelung in der Konvention mit der Zeit eine wegweisende Funktion für die Streitbeilegung im Völkerrecht insgesamt zukommen. Das hängt allerdings erneut davon ab, daß die Gerichte an einer übereinstimmenden Auslegung und Anwendung festhalten. Im Interesse einer widerspruchsfreien Auslegung muß die Rolle der Galionsfigur dem ISGH als Fachgericht zukommen, da sich allein so die Gefahr der Verwässerung (s.o.) im Wege ausgezeichneter Kompetenz fortgesetzt vermeiden läßt.

Unabhängig aber von der Frage, ob eine ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts (ganz abgesehen von der Konsensfähigkeit einer solchen im Rahmen der Konvention) zu mehr Rechtsprechungskonsistenz führte 33 und der Frage, ob mit der parallelen Zuständigkeit nicht die Konvention als solche verwässert wird, steht die Regelung der friedlichen Streitbeilegung angesichts der zugrundeliegenden Interessengegensätze im Seerecht überhaupt 34 im Vordergrund. Und für diese bedarf es gewisser Zugeständnisse an die Hoheitsinteressen der einzelnen Staaten, was in diesem Fall durch die Wahlmöglichkeit bezüglich der Entscheidungskörper erfolgte.

Interessante Unterschiede, die möglicherweise einen Rückschluß auf die Stellung des IGH im Rahmen der Konvention zulassen, bestehen im Hinblick auf die Wahl und Zusammensetzung sowie der Finanzierung des Gerichts:

Die Richter des ISGHs werden direkt von den Vertragsstaaten gewählt (Anlage VI, Art. 4(4)). Dieser Unterschied ist wohl Konsequenz der Kritik seitens der "Drittweltstaaten" an dem Wahlverfahren für den IGH und sucht einer "Politisierung" des Gerichts besser zu begegnen 35: der Sicherheitsrat mit einem Übergewicht an Stimmen der Industriestaaten hat keine Einflußmöglichkeiten auf die Zusammensetzung des Gerichts. Dieses Zeichen in Richtung IGH wird aber weitgehend dadurch aufgehoben, daß der IGH als Organ für die Streitbeilegung wählbar ist (was natürlich insofern wieder seine Grenze hat, als bei Differenzen in bezug auf den Spruchkörper letztlich immer ein Schiedsgericht nach Anlage VII zuständig ist). Ob der ISGH in diesem Sinne eine Sonderstellung einnehmen wird, bleibt abzuwarten.

Die Finanzierung des Gerichts 36 wird nicht vom Haushalt der UN getragen, sondern von den Vertragsparteien übernommen 37. Mit dieser Regelung ist der Gerichtshof zwar unabhängig von den UN, was angesichts unterschiedlicher Zahlungsmoral und Zahlungsmotivation der UN-Mitgliedsstaaten 38 und der damit verbundenen Einfluß- und Steuerungsmöglichkeiten sinnvoll erscheint. Andererseits verkleinert sich nur der Kreis der Finanzträger und ähnliche Probleme könnten sich auch hier einstellen. Dem steht wohl allerdings entgegen, daß die Motivation der Vertragsstaaten sich im Seerecht eher bündeln lassen dürfte, und Differenzen über die Stellung des Gerichtshofs angesichts der grundsätzlichen Übereinstimmung und Anerkennung (mit Unterzeichnung der Konvention) eher unwahrscheinlich sind.

3.3. Zuständigkeit

Der ISGH ist zuständig für alle Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten, die sich aus der Konvention ergeben; darüber hinaus wenn die Zuständigkeit für Streitigkeiten und Streitgegner übereinstimmend dem Gericht übertragen wurde. Eine Besonderheit gegenüber den anderen Organen besteht diesbezüglich nicht.

3.3.1. ratione materiae

Das Gericht hat den Inhalt der Konvention, Regeln des Völkerrechts (Art. 293(1)), soweit sie nicht im Widerspruch zur Konvention stehen, und die sonstigen Übereinkommen 39 (Anlage VI, Art. 21), die dem Gericht die Zuständigkeit zuweisen, auszulegen und anzuwenden. Mit der Festlegung auf die Konvention als Grundlage einer Entscheidung des Gerichts verliert die Abneigung sich einem Verfahren vor einem internationalen Gericht zu unterwerfen insoweit ihren Grund, als Unsicherheit, wie sie in bezug auf den tatsächlichen Gehalt von völkerrechtlichen Grundsätzen besteht, abschreckend wirken kann 40. Dieser Aspekt tritt neben die Rechtssicherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit von Entscheidungen anhand von gefestigter Rechtsprechung.

Die Konvention ist eingebettet in internationales Recht und Teil desselben. Grundlage für Interpretation und Anwendung sind deshalb auch die in der Wiener Konvention von 1969 genannten Regeln 41. Fragen hinsichtlich Nationalität, Verantwortlichkeit etc., die auch in seerechtlichem Zusammenhang eine Rolle spielen können, sind nach allgemeinem Völkerrecht zu entscheiden. Darüber hinaus kann auch der ISGH eine Entscheidung ex aequo et bono fällen, wenn die Parteien dies vereinbaren (Art. 293(2)) 42.

Die Möglichkeit, Rechtsgutachten zu erstellen, ist in der Konvention für den Gerichtshof nicht vorgesehen 43. Inwiefern der IGH entsprechend seinem Statut hier tätig werden kann, ist eine Frage, die sich im Rahmen der Rechtssicherheit stellt. Grundsätzlich spricht die Konstruktion in Art. 287 für eine weitgehend unabhängige Parallelität der Organe. Auf dem Wege der Rechtsgutachten würde andererseits die prominente Stellung des ISGHs innerhalb der Konvention ausgehöhlt. Zwar geben die Rechtsgutachten des IGH an sich keine rechtsverbindliche Zusage, doch wirken sie sich unweigerlich auf die Rechtsprechung aus, insofern als durch sie die Auffassung des Gerichts eindeutig festgehalten wird. In diesem Zusammenhang ist auch ein Ausspielen der einzelnen Organe durch eine Streitpartei denkbar, etwa dergestalt, daß zur Absicherung zunächst ein Gutachten eingeholt wird, um im Anschluß zu entscheiden, vor welchem Gericht das eigene Begehr am ehesten zu verwirklichen sein wird. Vor diesem Hintergrund scheint es gerechtfertigt das Fehlen einer entsprechenden Zuweisungsnorm in der Konvention für alle Spruchkörper gleichmäßig auszulegen und demzufolge die Kompetenz des IGH in diesem Punkte einzuschränken.

3.3.2. ratione personae

Der Zugang zum ISGH steht den Vertragsstaaten offen (Anlage VI, Art. 20(1)). Was unter Vertragsstaaten zu verstehen ist, ergibt sich aus Art. 1(2) iVm Art. 305(1)(b,c,d,e,f). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß "internationale Organisationen" (entities different from States), i.e. gemäß Anlage IX, Art. 1 auch zwischenstaatliche Organisationen, soweit sie für die in der Konvention geregelten Angelegenheiten Zuständigkeit besitzen, bzw. ihnen diese übertragen wurde 44, Beteiligte im Verfahren sein können 45 (Art. 291(1)). Dies ist auch möglich für solche Rechtsträger, die nicht Vertragspartei sind, wenn dies in der Konvention selbst ausdrücklich gesagt oder für ein anderes Übereinkommen so vorgesehen ist 46, Art. 291(2) iVm Anlage VI, Art. 20(2).

3.4. Einleitung, Form und Entscheidung eines Verfahrens

Formell ist das Verfahren weitgehend dem des IGH nachgebildet 47 (die Schiedsgerichte geben sich selbst ihre Verfahrensvorschriften, für den IGH gilt dessen Statut). Es wird eingeleitet durch einseitige Notifikation oder Klageschrift, die Streitgegenstand und -gegner nennen muß. Das Gericht prüft in einem Vorverfahren Zuständigkeit und Begründetheit nach dem ersten Anschein, um eine rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme auszuschließen (Art. 294(1)).

Bei Weigerung der Entscheidung im Urteil nachzukommen stellt sich die Frage, ob ein Verfahren bezüglich des vertragswidrigen Verhaltens vor einer Institution aus Art. 287 Sinn macht, oder ob nicht auf Repressalien gegen den vertragsbrüchigen Staat zurückzugreifen ist. Eine Durchsetzung mittels des Sicherheitsrats sieht die Konvention anders als die UN-Charta in Art. 94(2) jedenfalls nicht vor.

C. Die Verfahren, Streitgegenstände nach UNCLoS III

1. Vorgelagerte, außergerichtliche Streitbeilegung

Im ersten Abschnitt, Artikel 279-285 sind allgemeine Bestimmungen über die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung (so wird etwa in Art. 279 verwiesen auf die Art. 2 (3) und 33 (1) Charta der Vereinten Nationen) und zum Meinungsaustausch bei Streitigkeiten (Art. 283) aufgeführt. In Art. 282 wird der Vorrang von allgemeinen, regionalen oder bilateralen Übereinkünften als allgemeine Verfahrensvoraussetzung festgeschrieben.

Insbesondere Art. 280, der die Möglichkeit jederzeitiger diplomatischer Lösung unabhängig von Konventionsbestimmungen zuläßt, dürfte vor dem Hintergrund zu verstehen sein, daß ein umfassendes Streitbeilegungssystem die notwendige Zustimmung nur finden konnte, indem den beteiligten Staaten weitreichende Rückzugs-, bzw. Ausweichmöglichkeiten offengehalten würden 48. Wie und ob dieses "Schlupfloch" von den Parteien benutzt wird, bleibt abzuwarten. In der Praxis der gerichtlichen Streitbeilegung dürfte diese Vorschrift keine wesentliche Rolle spielen, da dieses erst eingreift, wenn die ohnehin vorgelagerten diplomatischen Bemühungen nicht zum Erfolg geführt haben. Mit der Erwähnung der diplomatischen Vorklärung erlangt Art. 280 allerdings Bedeutung als Zulässigkeitsvoraussetzung in Form einer "prozeßhindernden Einwendung", sollte sich der Fall ergeben, daß die Parteien dieser völkerrechtlichen Praxis nicht gefolgt sind 49. Folge ist jedenfalls, daß keine Partei mit einem Verfahren "überrumpelt" werden kann.

Bedeutsam erscheint in diesem Zusammenhang auch Art. 281(1), demzufolge die Parteien eines Streites die Anwendung der Konvention, für den Fall eines Scheiterns der Bemühungen um eine friedliche Beilegung, ausschließen können. Tatsächlich bringt dies ein grundlegendes Prinzip des Teils XV zum Ausdruck, wonach die Parteien frei entscheiden können sollen, wie und ob überhaupt sie ihren Streit beilegen wollen 50. Das große Loch, das sich hier für die Anwendung des Streitbeilegungssystems auftut, wird dadurch eingeschränkt, daß sich die Parteien beide über die Nichtanwendung einig sein müssen 51.

Art. 284 führt den Vergleich als unverbindliche Verfahrensform auf. Die Einrichtung kann gemäß Anlage V erfolgen 52.

Generell muß als Hintergrund für die Einschränkung der obligatorischen Verfahren immer berücksichtigt werden, daß während der Verhandlungen die Staatensouveränität gegen die Einführung eines obligatorischen Streitbeilegungssystems überhaupt stand.

2. Obligatorische Verfahren 53

Das Streitbeilegungssystem hat in der Konvention einen besonderen Stellenwert. Nicht nur führt die Konvention im internationalen Recht ein obligatorisches Verfahren überhaupt ein, sondern macht es zum integralen Bestandteil. Das gerichtliche Verfahren erhält damit nicht nur die Funktion eines Konfliktentscheidungsmittels an sich, sondern darüber hinaus Bedeutung im Rahmen der veränderten Rechtszuständigkeiten insofern, als den in ihren bisherigen Rechten Beschnittenen das Streitbeilegungssystem als verbindlich zur Seite gestellt wird: die Rechte, die durch die Konvention zugesprochen werden, können gerichtlich bestätigt werden.

Grundsätzlich gilt, daß alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Seerechtskonvention vor dem ISGH einer verbindlichen Entscheidung zugeführt werden können (wenn die Parteien dies vereinbaren). Die wesentlichen Streitgegenstände ergeben sich aus dem Interessenkonflikt der Küsten- und Flaggensstaaten, etwa den Vorschriften, die ein Küstenstaat zum Schutz der Umwelt, zur Sicherheit der off-shore-Anlagen oder zur Regelung der Fischerei erläßt (das Recht hierzu kann sich u.a. aus Art. 56 ergeben) 54.

Als Streitgrundlage verdient hier der Teil V über die Ausschließliche Wirtschaftszone besonderes Augenmerk. Es handelt sich um ein relativ junges Konzept, das erst mit der Konvention eingeführt wurde 55; wesentliche Bedeutung erlangt es aufgrund der erweiterten Zuständigkeit des Küstenstaates für Fischerei und Meeresverschmutzung (nämlich in einer 200sm Zone). Daß es deshalb in bezug auf diese Zone um besonders heikle Probleme geht, zeigen die Fischereikonflikte, die immerwieder zu Festsetzungen 56 oder zu militärischem powerplay führen können 57.

Die auch rechtlich herausragende Stellung wird hervorgehoben in Art. 59, demzufolge für die Ausschließliche Wirtschaftszone nicht die Vermutung der Hoheitsrechte zugunsten des Küstenstaates - wie etwa in der Küstenzone - oder aber der Freiheitsrechte der Hohen See zugunsten des Flaggenstaates - so in der Übergangszone - eingreift, sondern eine im Rahmen des Teil V billig und gerechte Lösung gefunden werden muß 58. Aus diesem Grunde gewinnt dieser Teil der Konvention einen besonderen Stellenwert für das Streitbeilegungssystem: die Gerichte sind zuständig für Anwendung und Auslegung der Konvention; und einer inhaltlichen Bestimmung gerade des Art. 59 im Rahmen des Teil V kommt aus Gründen der Rechtssicherheit große Relevanz zu. Da die Rechte des Küstenstaates zuungunsten der Flaggenstaaten erweitert wurden, dürfte zu ihrer Interessenwahrung der Gang zum Gericht eine wichtige Rolle spielen 59, um die berechtigte Wahrnehmung dieser Rechte verbindlich überprüfen zu lassen. Da die Freiheitsrechte hier zurückgedrängt wurden, ergibt sich für den Gerichtshof die Rolle, einem Mißbrauch der Befugnisse der Küstenstaaten eine Grenze zu setzen.

Aus Art. 286 folgt, daß Streitigkeiten, die im Wege der allgemeinen Verfahren des ersten Abschnitts im Teil XV nicht beigelegt werden konnten, einem obligatorischen Verfahren gemäß dem zweiten Abschnitt des Teils XV unterworfen werden, Ausnahmen von diesem Grundsatz ergeben sich aus den folgenden Vorschriften.

2.1. Art. 297, die zu vermutenden Ausnahmen

In diesem Artikel sind die Ausnahmen enthalten, die vermutet werden, also Streitgegenstände, die nur aufgrund einer ausdrücklichen Parteivereinbarung verhandelt werden können 60. Er hat dem gesamten Streitbeilegungssystem den Vorwurf der Löcherigkeit eingetragen 61.

Im einzelnen besagt Art. 297, daß Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung von bestimmten souveränen Rechten und Hoheitsbefugnissen von den obligatorischen Verfahren ausgenommen sind. Die verbleibenden Punkte sind genannt:

a. Verstoß des Küstenstaates gegen Art. 58, d.h. gegen die zulässige Nutzung der ausschließlichen Wirtschaftszone durch andere Staaten, insbesondere Freiheit der Schiffahrt, des Überflugs und der Verlegung von Kabeln und Rohrleitungen 62;

b. Verstoß des Flaggenstaates gegen Rechte des Küstenstaates, die diesem aus der Konvention zukommen oder die dieser mit ihr in Einklang erlassen hat;

c. Verstoß des Küstenstaates gegen Regelungen zum Schutz und zur Bewahrung der Meeresumwelt (auch solcher, die aufgrund der Konvention erst später geschaffen wurden).

Streitigkeiten in bezug auf wissenschaftliche Meeresforschung und Fischerei sind dem obligatorischen Verfahren nicht unterworfen, soweit sie einerseits Rechte des Küstenstaates aus Art. 246 und 253 (das betrifft die Genehmigung sowie Unterbrechung und Einstellung der Meeresforschung durch den Küstenstaat) andererseits Rechte aus Art. 61 und 62 (das ist insbesondere die Entscheidung über das Ob und Wie einer Beteiligung anderer Staaten an den Fischbeständen in der ausschließlichen Wirtschaftszone) betreffen. Für diese Bereiche soll das obligatorische Vergleichsverfahren nach Anlage V, Abschnitt 2 eingreifen. Dem bleibt allerdings wenig Spielraum, da das Ermessen des Küstenstaates in bezug auf die Zustimmung zu Forschungsvorhaben (Art. 246(5)), respektive Fischfangquoten (Art. 62(2)) nicht der Kontrolle der Vergleichskommission unterliegt (Art. 297(2)(b), (3)(c)), dem Küstenstaat also weitgehend Souveränität verbleibt. Trotzdem läßt sich zusammenfassend sagen, daß dort, wo nach der Konvention die Rechte des Küstenstaates erweitert wurden und sie deshalb mit den Freiheitsrechten der Hohen See (hinsichtlich Freiheit der Schiffahrt, Überflug und Verlegung von Kabeln und Rohrleitungen) konfligieren, eine verbindliche Entscheidung nicht umgangen werden kann. Der Gerichtshof bleibt als Wächter der Freiheitsrechte anrufbar, wenn der Küstenstaat seine Rechte in der Ausschließlichen Wirtschaftszone zum Nachteil der Freiheitsrechte der Schiffahrt mißbraucht.

2.2. Art. 298, die fakultativen Ausnahmen

Dieser Artikel ist Zugeständnis an die Staaten, die schon früh darauf bestanden, daß für bestimmte Fälle Vorbehalte gemäß Art. 309 möglich sein müßten 63, 64. Es handelt sich um eng begrenzte Bereiche, die empfindliche Teile der Hoheitsbefugnisse betreffen: Abgrenzungsfragen bezüglich von Meeresteilen, sog. historische Buchten und Titel, sowie militärische Aktivitäten und Vollstreckungshandlungen. Darüber hinaus können Streitigkeiten, die der Sicherheitsrat gemäß der UN-Charta übernommen hat, ausgenommen werden, was zu einer ernsthaften Einschränkung der obligatorischen Streitbeilegung im Falle politisch belasteter Auseinandersetzungen führen kann 65.

Bezüglich der Abgrenzung von Meeresteilen ergibt sich bei einem Vorbehalt das Problem, daß die Klärung einer Abgrenzung gemäß Art. 15, 74, 83 (jeweils geht es um die Abgrenzung von Meeresteilen gegenüberliegender oder angrenzender Staaten) wesentlich sein kann für die Bestimmung der Rechte, die dem Küstenstaat gegenüber dem Flaggenstaate zustehen, etwa im Fall der Festsetzung von Schiffen als Ausübung von Hoheitsrechten (noch) in der Ausschließlichen Wirtschaftszone. Der letzte Halbsatz in Art. 298(1)(a)(i) 66 als Ausnahme zur Ausnahme trägt lediglich der Sorge Rechnung, daß im Wege eines Verfahrens 'schlafende Hunde' in bezug auf Souveränitätsrechte hinsichtlich von Festland und Inseln geweckt werden könnten und daß die Konvention rückwirkend nicht angewandt wird. Für die Abgrenzung ist damit nichts gesagt. Demzufolge kann eine nach Art. 298 ausgenommene Streitigkeit zur Vorfrage für ein Verfahren nach Art. 297 werden, nämlich dort, wo gerade die in Streit stehende Insel entscheidend für die Begrenzung der Ausschließlichen Wirtschaftszone und damit die rechtlichen Befugnisse der Beteiligten wird 67. Art. 298 verweist zur Klärung auf ein Vergleichsverfahren, geregelt in Anlage V, das aber nicht notwendig 68 zu einer bindenden Entscheidung führt, an dessen Ende vielmehr zunächst ein Bericht steht, auf dessen Grundlage wiederum die Parteien ihr Ergebnis aushandeln sollen. Die einzig verbleibende Verpflichtung besteht dann darin, gemäß Art. 283 (1) im Meinungsaustausch und in Verhandlung zu bleiben und nach good faith (Art. 300) eine friedliche Beilegung zu suchen 69. Das scheint zu einer unbestimmten Verzögerung im "Hauptsacheverfahren" zu führen.

Eine andere wichtige Vorschrift enthält Art. 298 (1)(b). Danach können Streitigkeiten über Vollstreckungshandlungen aufgrund souveräner Rechte, die gemäß Art. 297 (2,3) keiner Gerichtsbarkeit unterworfen sind, Gegenstand eines Vorbehalts sein. Damit werden die Rechte des Küstenstaates zugunsten des Rechts auf Freiheit der Schiffahrt eingeschränkt 70, weil nur Vorbehalte hinsichtlich der Forschung und Fischerei (und diese auch nur, soweit nicht durch Art. 297(2,3) einem Gericht zugewiesen) zulässig sind.

Im Vergleich mit den Vorbehalten, die aufgrund Art. 36 des IGH-Statuts gemacht werden können 71, bzw. gemacht wurden, stellen sich die Möglichkeiten nach Art. 298 als vergleichsweise geringe Einschränkung für die Zuständigkeit der Gerichte gemäß Art. 287 dar. Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß die Entscheidung darüber, ob es sich überhaupt um einen zulässigen Vorbehalt gemäß Art. 298 handelt, nicht in die Zuständigkeit des Staates fällt, sondern vom Gericht selbst (Art. 288 (4)) oder im Falle des Vergleichsverfahrens von der Kommission (Anlage V, Art. 13) getroffen wird 72.

2.3. Vergleichsverfahren gemäß Anlage V, Abschnitt 2

Dieses Verfahren ist eingerichtet worden, um im Lichte der widerstreitenden (und in bestimmten Bereichen der Konvention nicht zu vereinbarenden) Interessen judikativer Souveränität und international-verbindlicher Jurisdiktion keine Kategorie von Streitigkeiten ohne ein obligatorisches Verfahren zu lassen 73. Die Fälle, für die ein solches Verfahren in Betracht kommt, ergeben sich aus dem Gesagten und lassen sich grob wie folgt zusammenfassen: es muß

ratione loci um die Ausschließliche Wirtschaftszone oder den Festlandsockel,ratione materiae um die Ausübung der Hoheitsrechte des Küstenstaates in diesem Zusammenhang, soweit sie einen (wohl schwer feststellbaren 74) Verstoß darstellt, bzw. die Frage der Abgrenzung von Meeresgebieten gemäß Art. 298(1)(a)(i) gehen 75.

Das Verfahren ist keines des ISGHs: für die Einrichtung gelten die Regeln des ersten Abschnitts von Anlage V 76 unter der Maßgabe, daß gemäß Anlage V, Art. 11(1) die einseitige Notifikation genügt, die Nichtbeantwortung derselben, bzw. die Weigerung am Verfahren teilzunehmen kein Hindernis darstellt, und die Parteien keine Vereinbarung über die Anwendbarkeit des Vergleichsverfahrens treffen müssen (sie gilt mit der Ratifikation als ipso jure getroffen 77). Dieser Einschnitt in die Souveränität der Staaten, insbesondere der Küstenstaaten, da es in Artikel 298 um deren Rechte in der Ausschließlichen Wirtschaftszone geht, ist weitgehend dadurch aufgehoben, daß der Abschlußbericht der Kommission die Parteien gem. Anlage V, Art. 14 iVm Art. 7(2) nicht bindet.

2.4. Art. 292, die Freisetzung von Schiffen 78

Dieses Verfahren verdient besonderes Interesse insofern als sich hier der ISGH als prädestinierte Institution erweist, mit anderen Worten hier ein Schwerpunkt der Arbeit des Gerichts zu erwarten ist (s.u.).

Angesichts erweiterter Rechte der Küstenstaaten zu Lasten der Freiheitsrechte der Schiffahrt erhält Art. 292 besondere Bedeutung für Private als Schiffseigner und Reeder 79: Unabhängig von lokalen Rechtsmitteln 80 (die aber evtl. als Prozeßvoraussetzung eine Rolle spielen) wird Personen des Zivilrechts unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit eingeräumt, die Freisetzung ihrer Schiffe zu erwirken. Und zwar unabhängig von der materiellen Rechtslage, denn nach Art. 292(3) wird der Gegenstand des Verfahrens selbst nicht berührt. Da örtliche Verfahren vor den Fachgerichten meist zeitraubend sind, und ein liegendes Schiff erhebliche Kosten verursacht, dürfte hier ein wichtiges Betätigungsfeld für den Gerichtshof liegen.

2.4.1. Anwendungsbereich
a. Verstoß des Flaggenstaates

Die Konvention sieht in verschiedenen Vorschriften die Festsetzung (arrest oder detention 81) eines Schiffes und seiner Besatzung vor: im Falle einer Verletzung

eines Rechts des Küstenstaates hinsichtlich der lebenden Ressourcen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone sowie einer der in Übereinstimmung erlassenen Regelungen;internationaler Regeln und Standards zum Schutz der Umwelt sowie einer der diese ausfüllenden Regelungen seitens des Küstenstaates
kann der Küstenstaat ein Schiff (mit Besatzung) festhalten.

b. Verstoß des Küstenstaates

In seinem Antrag an das Gericht muß der Flaggenstaat einen Verstoß des Küstenstaates gegen die Vorschriften der Konvention rügen. Festsetzungen aufgrund anderer Gesetze, insbesondere sog. "in rem proceedings" im Rahmen von zivilrechtlichen Klagen, fallen nicht nur nicht unter Art. 292, sondern können auch einen Hinderungsgrund darstellen. So etwa, wenn neben einem Verstoß gegen Vorschriften der Konvention noch ein Verstoß gegen Gesetze des Küstenstaates zur Festsetzung führt 82, denn die Kompetenz des Gerichts reicht nicht weiter als die Konvention. Die Verpflichtung des festhaltenden Staates, ein Schiff bei Hinterlegung einer angemessenen (finanziellen) Sicherheit freizulassen, ergibt sich ausdrücklich aus folgenden Vorschriften:

aa. Art. 226 (1)(b) Festhalten bei Umweltverschmutzung

Ein Festhalten ist nach Art. 226(1)(b) iVm. Art. 216, 218, 220 zulässig im Falle einer Verschmutzung durch Einbringen (dumping) oder Einleitung (discharge). Die weitestgehende Kompetenz nach dem völkerrechtlich primär zuständigen Flaggenstaat kommt hier gemäß Art. 218(1) den Hafenstaaten zu 83: ist ein Schiff freiwillig im Hafen, kann dieser Staat ("wenn die Beweislage dies rechtfertigt") Untersuchungen hinsichtlich von Einleitungen unter Verstoß gegen internationale Regeln und Normen einleiten, und zwar zunächst unabhängig vom Ort des Vorfalls, Art. 218(1). Art. 218(2) sieht eine Kompetenzeinschränkung vor, wonach ein Verfahren wegen Einleitungen innerhalb der inneren Gewässer, des Küstenmeers, der Ausschließlichen Wirtschaftszone oder des Festlandsockels eines anderen Staates nur eingeleitet werden kann, wenn einer der unmittelbar betroffenen Staaten, i.e. der Küstenstaat, ein anderer geschädigter oder bedrohter Staat oder der Flaggenstaat, darum ersucht; mit anderen Worten: der Hafenstaat darf im Falle von Verschmutzungen der Hohen See und seiner eigenen Hoheitsgewässer ein Verfahren direkt einleiten. Das erscheint sinnvoll, da die Untersuchung und Kontrolle der Richtigkeit von Unterlagen, etwa über Tankreinigungen, für die Hafenbehörden ohne den Aufwand möglich ist, der bei einer Untersuchung auf See erforderlich wäre 84.

Die Kompetenz der Küstenstaaten ist beschränkt auf Vorfälle innerhalb der eigenen Hoheitsgewässer 85, 86, Art. 220(1), ist aber insoweit weiter, als auch fahrende Schiffe aufgehalten werden können, wenn "eindeutige Gründe die Annahme [eines Verstoßes] rechtfertigen", Art. 220(2), und zwar sowohl in bezug auf einen Verstoß gegen internationale Regeln und Normen zur Verhütung, Verringerung und Überwachung der Verschmutzung durch Schiffe als auch in bezug auf eine Verschmutzung selbst.

bb. Art. 226 (1)(c) Festhalten bei Seeuntüchtigkeit

Seeuntüchtigkeit ist in vielen Häfen ein wichtiger Grund, ein Schiff festzuhalten 87. Ein Verfahren nach Art. 292 ist möglich aufgrund der Verweisung auf den Teil XV in Art. 226(1)(c a.E.). Es ergibt sich aber die Frage, was am Ende dieses Verfahrens stehen soll. Es geht nämlich in einem solchen Verfahren nicht um die Höhe einer Kaution, sondern um die Frage der Seetüchtigkeit und der Gefahr für die Umwelt. Art. 226(1)(c) sieht für die Freisetzung als mögliche Bedingung nur vor, daß das Schiff bis zur nächsten geeigneten Werft zwecks Reparatur gebracht wird 88. Daß dies eine sinnvolle Bedingung sein kann, erscheint im Kontext des Art. 226 insofern fraglich, als Umweltverschmutzungen möglichst umfassend verhindert werden sollen, was kaum möglich ist, wenn man das Schiff fahren lassen muß. Sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich aber für den Fall, daß das örtliche Verfahren unzulässig in die Länge gezogen wird, etwa die Behörden das Schiff ohne nähere Angabe von Gründen festhalten oder nach Beseitigung der Mängel nicht freigeben 89.

Eine andere Frage ist, inwieweit dem Gericht die Kompetenz zukommt, auch die Anwendung der internationalen Regeln und Normen, bzw. deren Inhalt zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Dafür spricht, daß Art. 226(1)(c) eine unverhältnismäßig große Gefahr als Voraussetzung für ein Festhalten vorschreibt. Wann aber eine solche vorliegt 90, ist Auslegungsfrage und erfordert die Anwendung von internationalen Regeln und Normen, was einem nach Art. 292(3) unzulässigen Eingriff in das Hauptsacheverfahren vor dem örtlichen Gericht sehr nahe kommt. Deshalb liegt es nahe die Anwendung des Verfahren nach Art. 292 auf die Fälle offensichtlichen Rechtsmißbrauchs beschränkt zu sehen 91.

cc. Art. 220 (7) Festhalten aufgrund anderer Übereinkommen

Dieser Paragraph erhält seine Bedeutung dadurch, daß er das Verfahren des Art. 292 mit anderen internationalen Vereinbarungen verbinden kann, die in ihren Vorschriften zur Durchsetzung die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit zur Gewährleistung einer Verpflichtung vorsehen 92, 93, 94. Voraussetzung für ein Verfahren nach Art. 292 in solch einem Fall ist allerdings, daß beide Parteien Vertragsstaaten der entsprechenden Konvention (und von UNCLoS III) sind und diese kein eigenes vorrangiges Verfahren vorschreibt. Und aus dem Kontext des Art. 220 ergibt sich, daß ein Verfahren nach Art. 292 nur dort möglich ist, wo ein Verstoß gegen internationale Regeln und Normen zur Verhütung, Verringerung und Überwachung der Verschmutzung durch Schiffe verfolgt wird (damit fallen Konventionen wie die Limitation Convention, 1976 und die Arrest Convention, 1952 aus dem Katalog heraus).

dd. Art. 73 (1) Festhalten wegen Fischerei

Diese Vorschrift verdient besondere Beachtung, weil sie die Durchsetzung der in Übereinstimmung mit der Konvention erlassenen Gesetze in der Ausschließlichen Wirtschaftszone und damit einen neu eingeführten Bereich küstenstaatlicher Zuständigkeit betrifft. Art. 73 entfaltet Wirkung als Begrenzung der küstenstaatlichen Souveränität hinsichtlich der Festsetzung (Art. 73(2)) und Haft (Art. 73(3)) bei der Ausübung der von der Konvention übertragenen Rechte. Die Bedeutung eines Verfahrens nach Art. 292 wird deutlich, bedenkt man, daß die Aktivitäten im und auf dem Meer seitens der Küstenstaaten und der Flaggenstaaten weiter zunehmen, und ein Konflikt der beiden Interessen sehr leicht zu einer Festsetzung des Schiffes führen kann 95.

ee. Analoge Anwendung des Art. 292

In einigen anderen Vorschriften sieht die Konvention bestimmte Maßnahmen des Küstenstaates vor, die die Frage auftauchen lassen, inwieweit Art. 292 eine analoge Anwendung zuläßt. Eindeutig scheiden aus Festsetzungen in Zusammenhang mit Sklaverei (Art. 99), Seeräuberei (Art. 105), Drogenschmuggel (Art. 108) und nicht genehmigten Rundfunksendungen (Art. 109(4)) 96, da diese als Sanktion gegen internationale Verbrechen 97 von jedem Staat durchgeführt werden dürfen und anerkannt sind. In Frage stehende Vorschriften sind: Art. 28(2) und Art. 27(1,2), die eine Festsetzung eines die Hoheitsgewässer passierenden Schiffes im Rahmen eines gegen dieses anliegenden zivilrechtlichen, bzw. strafrechtlichen Verfahrens im Küstenstaat ausschließen, und Art. 97(3), der eine Festsetzung in einem strafrechtlichen Verfahren wegen einer Kollision etc. auf der Hohen See verbietet 98.

Auf dem Symposium vom 17.11.95 in Hambug schälte sich in diesem Zusammenhang eine unterschiedliche Interpretation heraus:

Es scheint widersinnig, dem Flaggenstaat das Verfahren des Art. 292 zu verschließen, wenn der Küstenstaat gegen Vorschriften verstößt, die diesem gerade die Festsetzung verbieten, nur weil der Wortlaut der Vorschriften sich nicht auf die Hinterlegung einer Kaution bezieht 99. Außerdem ließe sich noch anführen, daß es dem Interesse des Flaggenstaates entspricht, wenn dieser, statt auf den unsicheren Weg der vorläufigen Maßnahmen gemäß Art. 290 verwiesen zu werden, im Wege des speziellen und zügigen Verfahrens des Art. 292 vorgehen kann 100.

Dem steht entgegen der Wortlaut des Art. 292(1), der das Verfahren expressis verbis auf solche Fälle beschränkt, in denen der Küstenstaat trotz Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit das Schiff festhält 101.

Während der Beratungen standen sich folgende Herangehensweisen gegenüber: Auf der einen Seite der Ansatz, von einer Festsetzung abzuschrecken und neben dem direkten Zugang zum Gericht auch eine materielle Rechtmäßigkeitsüberprüfung vorzusehen. Auf der anderen Seite die Küstenstaaten, die die Entscheidung über das Ob und Wie einer finanziellen Sicherheit als in ihrer alleinigen Zuständigkeit ansahen 102. Art. 292 ist also vor dem Hintergrund dieser Interessenbalance zu lesen.

Gegenüber den Rechten des Küstenstaates im Küstenmeer stellt sich ein Verfahren nach Art. 292 immer als Beschränkung der Souveränität des Küstenstaates dar, und da gerade das Gleichgewicht zwischen den Rechten des Küstenstaates und den Freiheitsrechten der Flaggenstaaten ein sehr diffiziles ist, scheint eine ausdehnende Interpretation eher Bedenken zu begegnen. Gerade in den Fällen des Art. 27 und 28 bedeutete ein Verfahren nach Art. 292 einen Eingriff in nationale Zuständigkeiten. Die Freisetzung nach Hinterlegung einer Kaution ist für diese Fälle nicht in der Konvention vorgesehen, wendete man Art. 292 analog an, griffe man eventuell bestehenden nationalen Verfahren vor, denn die Berechtigung zu einer finanziellen Sicherheit müßte sich aus nationalem Recht ergeben. Ob dieses überhaupt anwendbar ist, oder der Küstenstaat nicht seine Rechte verletzt hat, ist aber Gegenstand eines anderen, nämlich eines obligatorischen Verfahrens gemäß Teil XV, Abschnitt 2 (ggf. unter Berücksichtigung des Abschnitts 3).

Bei den Art. 73 und 226 zugrundeliegenden Überlegungen fällt auf, daß es in allen diesen Fällen um Umweltschutz im weitesten Sinne geht: im Fall des Art. 226 liegt dies auf der Hand, im Fall des Art. 73 wird dies deutlich in Zusammenlese mit den Rechten und Pflichten, die dem Küstenstaat bei der Erhaltung der lebenden Ressourcen in seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone zukommen. Die Art. 27, 28 und 97 behandeln demgegenüber ganz andere Fälle, die im Einzelnen deutlich über eine grundsätzliche Übereinstimmung der Staatengemeinschaft zum Schutz der Meere 103 hinausgehen können. Aus diesem Grunde scheint eine Differenzierung angebracht.

Für eine Andersbehandlung spricht auch das Recht zur Nacheile (Art. 111) des Küstenstaats im Falle einer Verletzung seiner Gesetze und Vorschriften (in Paragraph 1 ist nicht von den in Übereinstimmung mit der Konvention erlassenen Gesetzen und Vorschriften die Rede 104). Die Nacheile ist eine besondere Maßnahme, die hier nicht in Zusammenhang mit den Maßnahmen des Teil XII, Abschnitt 7 steht, sondern der Durchsetzung nationaler Gesetze dient (dazu gehören etwa Zollbestimmungen, aber auch verfahrensrechtliche Vorschriften 105). Mit dieser Maßnahme wird den nationalen Gesetzen als Ausfluß der Souveränität innerhalb der Konvention eine besondere Stellung verliehen, die gegen eine analoge Anwendung des Art. 292 in diesen Fällen steht.

Wenn in der Konvention die Rechte des Küstenstaates nach Art. 27, 28 und 97 eine besondere Stellung haben, scheitert eine analoge Anwendung des Art. 292 am Interessengegensatz der Staaten, denn sie ist nicht mehr vom Kompromiß gedeckt.

Für alle Fälle, die nicht unter Art. 73 oder 226 fallen, kann die Anordnung einer Freigabe nach der Konvention daher nur im Wege einer vorläufigen Maßnahme gemäß Art. 290 erreicht werden.

2.4.2. Verfahrensvoraussetzungen

Erste Voraussetzung für ein Verfahren nach Art. 292 ist, daß die Parteien keine anderweitige Vereinbarung (Art. 292(1, a.E.)) getroffen haben, wie etwa weitere Verhandlungen, besondere Schiedsverfahren etc. Das trägt dem Grundsatz des Vorrangs von zwischenstaatlicher Verständigung Rechnung und ist Ausdruck des grundsätzlichen Vorrangs innerstaatlicher Rechtsmittel.

Für die zwingende Zuständigkeit des ISGHs ist zunächst erforderlich, daß die Parteien sich nicht innerhalb von zehn Tagen auf ein anderes Gericht geeinigt haben, bzw. sonst eine Entscheidung ergangen ist (Art. 292(1)). Die Frist beginnt unabhängig von der Notifikation seitens des festhaltenden Staates an den Flaggenstaat mit dem Zeitpunkt des Zurückhaltens. Die sofortige Unterrichtung des Flaggenstaates wird damit im Interesse des Küstenstaates liegen, wenn er der innerstaatlichen Instanz den vollen Zeitraum für die Verhandlung erhalten will 106. Eine andere Frage ist, vor welchem Gericht das Verfahren nach Art. 292 stattfinden soll. Den Parteien steht es auch hier offen zwischen den in Art. 287 genannten Institutionen zu wählen. Anders aber als sonst ist der ISGH subsidiäres Forum, d.h., wenn die Parteien sich nicht einigen, bzw. das vom zurückhaltenden Staat gemäß Art. 287 gewählte Gericht nicht angerufen wird, kann der Antragsteller die Frage dem ISGH unterbreiten. Dies wird wohl in der Regel der Fall sein, da für die Einrichtung eines Schiedsgerichts nach Anlage VII oder VIII einige Zeit nötig ist 107, und auch bei einem Verfahren vor dem IGH - so dies nach Art. 36(1) des IGH-Statuts möglich ist - mit Verzögerungen (die sich für den Reeder oder Eigner als finanzieller Verlust darstellen) zu rechnen ist, solange dieser noch keine Vorrangvorschriften für ein Verfahren nach Art. 292 - wie der ISGH 108 - hat 109.

Ein Vorverfahren gemäß Art. 294 sowie die Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsmittel gemäß Art. 295 sind für ein Verfahren nach Art. 292 nicht Voraussetzung: mit der Zehn-Tages-Frist ist für ein Verfahren nach Art. 292 eine besondere Prozeßvoraussetzung geschaffen. Dafür spricht auch, daß in Art. 292(3) von unverzüglicher Behandlung die Rede ist und das Verfahren auf die Frage der Freigabe beschränkt bleiben muß. Angesichts des Zeitfaktors bei einem solchen Verfahren würden weitere Bedingungen die Regelung ad absurdum führen.

Im Vergleich mit der denkbaren Möglichkeit, die Freisetzung im Wege vorläufiger Maßnahmen gemäß Art. 290(1) zu verlangen, ist das Verfahren nach Art. 292 in verschiedener Hinsicht speziell. Anders als dort entfällt hier beispielsweise eine Vorprüfung hinsichtlich der Zuständigkeit, auch stellt sich die Frage der Erforderlichkeit und Dringlichkeit nicht, und die Entscheidung unterliegt nicht einer nochmaligen Überprüfung im Hauptverfahren, sondern ist endgültig 110.

2.4.3. Prozeßfähigkeit

Im Zusammenhang mit dem Interesse Privater an einem Verfahren nach Art. 292 ist von Bedeutung, daß Art. 292(2) die Möglichkeit einräumt ein Verfahren "im Namen" eines Vertragsstaates einzuleiten. Darin kann für Schiffseigner eine Möglichkeit liegen, ihre Interessen selbst zu vertreten. Im Verlauf der Verhandlungen zu Art. 292 wurde die Prozeßfähigkeit Privater auf Verlangen der Staaten, die den Kreis der Völkerrechtssubjekte im Interesse ihrer eigenen Souveränität nicht erweitern wollten, aufgegeben. Auf der anderen Seite standen Überlegungen, daß angesichts des finanziellen Verlustes bei einer zeitlichen Verzögerung der Freigabe einem Eigner nicht zugemutet werden könne, seine Regierung um Unterstützung nachsuchen zu müssen, da dies in der Regel viel Zeit beanspruche 111. Die endgültige Formulierung ermöglicht es den Vertragsstaaten, durch innerstaatliches Recht bestimmten Personen "Prozeßstandschaft" zu übertragen. Zusätzlich zu dem völkerrechtlich anerkannten Recht die Prozeßvertreter frei und damit nicht nur Regierungsbeamte wählen zu dürfen, kann bspw. Reedern die "Prozeßfähigkeit" verliehen werden, indem diesen die Vertretungsbefugnis erteilt wird. Diese Fähigkeit soll im Voraus und ad hoc, für natürliche und juristische Personen (nicht notwendig Staatsangehörige 112), individuell oder einer bestimmten Gruppe verliehen werden können 113, der Bestand der Vertretungsbefugnis aber jeweils vom Willen des Staates, in dessen Namen gehandelt wird, abhängen, also jederzeit im Interesse staatlicher Souveränität widerruflich sein. Dokumente bezüglich der Zulässigkeit der Vertretung (hinsichtlich der Person und des Schiffes) müssen dem Gericht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden 114.

Daß diese Form der Prozeßvertretung im Statut des IGH nicht vorgesehen ist, dürfte sich zusätzlich zu den zeitlichen Überlegungen dahin auswirken, daß Verfahren nach Art. 292 bevorzugt vor dem ISGH verhandelt werden.

2.4.4. Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit der Entscheidung

Bis zur Entscheidung ist der festhaltende Staat insofern Herr des Verfahrens, als es gemäß Art. 292(3) in seinem Belieben steht das Schiff freizugeben und das Verfahren nach Art. 292(1) damit zu beenden. Ansonsten entscheidet das Gericht gemäß Art. 91(1) der Final Draft Rules über Art, Höhe und Bedingungen einer angemessenen finanziellen Sicherheit und teilt diese unverzüglich dem festhaltenden Staat mit der Anordnung zur Freigabe mit. Die Behörden des festhaltenden Staates sind unmittelbar verpflichtet das Urteil zu befolgen, Art. 292(4). Geschieht dies nicht, so macht sich der Staat gemäß Art. 232 gegenüber dem Reeder oder Eigner schadensersatzpflichtig. Für diesen Anspruch muß dem Berechtigten ein innerstaatlicher Rechtsweg offenstehen, Art. 232 a.E..

D. Schlußbemerkung

Die Konvention bringt für das gesamte Seerecht entscheidende Neuregelungen. Auf der einen Seite werden souveräne Rechte erweitert, auf der anderen Seite steht in Form des Streitbeilegungssystem ein objektives Instrument zur Verhinderung von Mißbrauch zur Verfügung, so daß sich die Interessen der Küstenstaaten und die der Flaggenstaaten in einem Gleichgewicht wiederfinden.

Einem Gericht nach Art. 287 kommt als Wächter dieses Gleichgewichts eine entscheidende Rolle zu. Inwieweit der ISGH dabei eine überragende Rolle neben dem IGH oder den Schiedsgerichten einnimmt, muß zunächst offenbleiben. Chancen dafür bestehen insofern, als die Konvention eine derart umfangreiche Regelung der Materie vornimmt, daß es naheliegt, Streitigkeiten auch vor dem durch die Konvention speziell geschaffenen Organ klären zu lassen. Ob das geschieht, hängt sehr von dem Willen der Parteien ab. Die soweit ergangenen Erklärungen im Rahmen des Art. 287 lassen hier keinen Rückschluß zu, deuten allenfalls eine Tendenz weg vom IGH an. Und ob die bisherige Vorliebe der Staaten für einvernehmliche Beilegungen, bzw. Schiedsverfahren 115 auch in der Zukunft anhält, läßt sich auch deshalb nicht sagen, weil jeder Vertragsstaat mit der Unterzeichnung die obligatorischen Verfahren anerkennt: Von der grundsätzlichen Unterwerfung unter bindende Entscheidungen zur Anerkennung des ISGHs als zuständigem Organ, scheint der Schritt nicht mehr so groß, da im Vergleich mit bisherigem Völkerrecht der Einschnitt in die Souveränität sozusagen mit der Unterschrift akzeptiert wird.

Als last resort dürfte aber zumindest in der ersten Zeit das Schiedsverfahren nach Anlage VII/VIII das häufigste sein 116 (rein statistisch ergibt sich das aus Art. 287, da es bei vier Möglichkeiten nicht mehr so wahrscheinlich ist, daß beide Parteien dasselbe Verfahren gewählt haben).

Zu erwarten ist, daß der ISGH seine größte Rolle also zunächst in Verfahren nach Art. 292 spielen wird, da hier der Zeitfaktor und das Eintreten Privater das Interesse der Staaten an der Wahrung ihrer Souveränität und Integrität weitgehend aushebelt.

Da mit der Einrichtung obligatorischer Verfahren die Souveränität der Staaten eingeschränkt wurde, kommt dem Streitbeilegungssystem bei zunehmender Internationalisierung eine wichtige Vorreiterrolle zu für die Bereitschaft, souveräne Rechte im Interesse größerer Rechtssicherheit auf internationale Institutionen zu übertragen. In diesem Sinne hat die Konvention Bedeutung über das Seerecht hinaus für die Entwicklung des Völkerrechts insgesamt. Mit der Einschränkung, daß die Interessen im Seerecht leichter zur Übereinstimmung zu bringen sein dürften, da wechselseitige Rücksicht auf klar umgrenzte Interessen 117 deutlicher notwendig ist: Welcher Hafenstaat wollte sich der Teilnahme am Handel durch Vorschriften für die Schiffahrt in seinem Küstenmeer berauben, die die Wirtschaftlichkeit des Schiffbetriebs erheblich beeinträchtigen; u.u.: welcher Flaggenstaat wollte sich der Möglichkeit eines Umschlagplatzes als Folge mangelnder Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen des Hafenstaats berauben?

Hinzukommt, daß das Meer mit seinen Gefahren eine internationale Zusammenarbeit immer erforderlich macht 118 und auch die Erkenntnis recht nahe liegt, daß nur ein in jeder Hinsicht intakter Lebens- und Rechtsraum See die unterschiedlichen Interessen befriedigen kann.


Florian H.Th. Wegelein
Konstanz, Februar 1996